Geschrieben von Tappi am 06.08.2007 um 20:19:
Brauchen wir Zuwanderung von Fachkräften?
Leicht durchschaubarer Schwindel
Seit über zehn Jahren herrscht Massenarbeitslosigkeit in Deutschland, immer um die zehn Prozent schwankend und immer über dem EU-Durchschnitt liegend. Doch kaum zeichnet sich eine gewisse Entspannung ab, blasen Unternehmerfunktionäre und ihre Vertreter in der Regierung schon wieder das „Halali“ für mehr Zuwanderung. Begründung: Fachkräftemangel.
Kein Mangel
Doch unter der Überschrift: „Die Mär vom Mangel“ bestreitet das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) genau diesen. Lediglich die Suchzeit der Unternehmen für eine Stellenbesetzung habe sich von 19 auf 21 Tage verlängert. Im Übrigen empfiehlt das Institut den Unternehmen, umzudenken: „Mehr betriebliche Fortbildung, flexiblere Arbeitszeiten für Frauen, mehr Ausbildung in Berufen mit längerfristiger Perspektive.“
Dessen ungeachtet und gewohnt, Wünschen aus dem Arbeitgeberlager reflexartig zu entsprechen, hat die Bundesbildungsministerin, Frau Schavan, sofort die Kampagne zur „Erleichterung der Zuwanderung von Hochqualifizierten“ aus der ganzen Welt gestartet. Dass es dabei nicht wirklich um Hochqualifizierte geht, sondern um einen Schleichweg an der Bevölkerungsmeinung vorbei um ganz normale Zuwanderung von Arbeitskräften aller Art – und oft auch ihrer Angehörigen –, ist schon daraus abzuleiten, dass Frau Schavan das Jahresmindesteinkommen, ab dem jemand als hochqualifiziert gilt, von derzeit etwa 85.000,– Euro halbieren will.
Lohndumping
Eher ungewohnt ist – noch jedenfalls –, dass das von SPD-Vizekanzler Müntefering geführte Bundesarbeitsministerium, ergänzend zur Schavan-Initiative, die bis 2009 geltende Zuzugsbeschränkung für Arbeitnehmer aus den osteuropäischen EU-Beitrittsländern auf den deutschen Arbeitsmarkt schon zum 1. Januar 2008 aufheben will, und ungeachtet der Warnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Maßnahme führe zu „Lohndumping ungeahnten Ausmaßes“.
Das stimmt zwar, nur wird das nach 2009, wenn nach EU-Recht die volle Freizügigkeit für osteuropäische Arbeitnehmer hergestellt sein muss, nicht anders sein. Würde der DGB die Interessen seiner Mitglieder konsequent wahrnehmen, hätte er früher rechtzeitig gegen die geplante Osterweiterung der EU Stellung beziehen müssen. Das hat er aber nicht getan, ebensowenig wie er sich jetzt klar gegen einen EU-Beitritt der Türkei positioniert, wie zum Beispiel die neue französische Regierung. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass dem DGB die Mitglieder davonlaufen.
Doch weshalb dann aber der Ruf nach weiterer Zuwanderung bei fehlendem Fachkräftemangel und immer noch dreieinhalb Millionen Arbeitslosen, darunter vielen Hochqualifizierten?
Antwort: Den Empfehlungen neoliberaler Ökonomen folgend, hat für Arbeitgeber in Deutschland die Zuwanderung in erster Linie den Zweck, durch ein Überangebot an Arbeitskräften ihre Lohnkosten und damit die Einkommen der Arbeitnehmer generall zu drücken sowie eigene Ausbildungs- und Qualifizierungsleistungen weitestgehend zu vermeiden. Das gilt ja selbst dann, wenn sie diese nichts kosten würden. Wie jetzt anerkannt wird, haben Arbeitgeber von für Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung stehenden 200 Millionen Euro aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) bisher nur 5 Millionen Euro abgerufen.
Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit
Osteuropäer sind schließlich schon ausgebildet und vor allem „billiger“ als Deutsche, so wohl die Überlegung der Arbeitgeber und ihrer SPD-Helfer (!) im Bundesarbeitsministerium.
Betriebswirtschaftlich rechnet sich das zwar kurzfristig, langfristig und für die deutsche Volkswirtschaft ist es jedoch falsch und schädlich. Die kurzfristig wirkende betriebliche „Billiglösung“ verhindert langfristig betriebliche Innovationen und schadet somit der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Das belegen japanische Unternehmen, die keine Zuwanderung nach deutschem Vorbild kennen und deshalb seit jeher stärker als unsere Unternehmen gezwungen sind, zu automatisieren (Roboter) und zu rationalisieren (Kaizen). Ihre seit Jahrzehnten ununterbrochen bestehende überlegene Wettbewerbssituation auf dem Weltmarkt und mit einer Arbeitslosigkeit zu Hause von selten höher als vier Prozent sind ja unübersehbar.
Volkswirtschaft belastet
Volkswirtschaftlich sind es die Folgekosten der Zuwanderung, aus Unternehmenssicht „externe“ Kosten, die aber von den Steuerzahlern zu tragen sind, die belasten.
Der Wunsch der deutschen Arbeitgeber nach Zuwanderung „auf Zuruf“ nähme sicher schnell ab, wenn sie – nach dem Verursacherprinzip – auch die externen Kosten dafür tragen müssten. Dann würden beispielsweise die erst kürzlich von der Bundesregierung aus Steuermitteln bereitgestellten 750 Millionen Euro für so genannte „Integrationsmaßnahmen“ – Folgen arbeitgeberinduzierter Zuwanderung – statt in öffentlichen Haushalten betriebs- und volkswirtschaftlich sauber in den Bilanzen der Unternehmen ebenso erscheinen müssen wie das bei anderen „externen Kosten“, zum Beispiel der Umwelt, ja auch der Fall ist.
Warum verlangt die Politik das nicht von den Unternehmen, die Zuwanderer beschäftigen – und belastet stattdessen lieber die deutschen Arbeitnehmer doppelt? Einmal durch den Lohndruck, dem sie durch die Zuwanderung ausgesetzt werden, und zum anderen, indem sie ihnen als Steuerzahler auch noch die Folgekosten daraus aufbürden?
Landtagswahlen in Bayern
In der letzten Zeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Unions-Politiker, vor allem von der CSU (zum Beispiel Glos und Herrmann) in den Medien Zweifel an der Zweckmäßigkeit der vorzeitigen „Schleusenöffnung“ für osteuropäische Arbeitnehmer äußern. Andererseits betreibt das von der „Arbeitnehmerpartei“ SPD geleitete Bundesarbeitsministerium genau das.
Verkehrte Politikwelt? Nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick tauchen wichtige Landtagswahlen in Deutschland im nächsten Jahr, darunter auch in Bayern, am Politikhorizont auf. Dabei geht es für die CSU darum, sich zum ersten Mal „nach Stoiber“ über 50 Prozent zu behaupten und für die SPD, die CSU genau unter diese Marke zu drücken. Deshalb hat es für die SPD – ungeachtet von Arbeitnehmerinteressen – Sinn, die „Schleuse“ für osteuropäische Arbeitskräfte noch vor diesem Wahltermin, also zum 1. Januar 2008, zu öffnen. Denn vermutlich wird der Hauptstrom der Osteuropäer, schon der geografischen Nähe wegen, zuerst auf den bayerischen Arbeitsmarkt treffen.
Die Folgen davon bei den Landtagswahlen bekäme mit hoher Wahrscheinlichkeit hauptsächlich die regierende CSU zu spüren.
Das erklärt einerseits den Eifer, mit dem sich derzeit CSU-Politiker gegen die vorzeitige „Schleusenöffnung“ aussprechen und sich als Sachwalter von Arbeitnehmerinteressen darstellen und andererseits die Kaltschnäuzigkeit, mit der die SPD auf genau diese „pfeift“. Ob die Arbeitnehmer dieses Spiel der „Großkoalitionäre“ mit getauschten Rollen auf ihren Rücken wohl durchschauen?